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„Politische Partizipation und Inklusion fängt vor Ort zu Hause an. Manchmal kann man auch mit kleinen Sachen etwas Großes bewirken – man muss nicht gleich die ganze Welt verändern wollen.“
von Wolfgang Bennewitz / Porträt / KSL vernetzt
Es gibt viele Möglichkeiten der aktiven politischen Partizipation und Teilhabe in Kommunen, beispielsweise durch die direkte Arbeit in Parteien oder in eigenen Formen der Interessenver-tretung. Letzteres könnten Gremien, wie etwa Beiräte und Arbeitsgruppen, oder beauftragte Einzelpersonen sein, die Politik und Verwaltung beraten. So engagiert sich auch Wolfgang Bennewitz u.a. als Vorsitzender des Behindertenbeirats Lünen und des Vereins „Politisch Selbstbestimmt Leben NRW e.V. (PSL NRW)“ in vielfältiger Weise.
„Inklusion fängt vor Ort zu Hause an“
Für Wolfgang Bennewitz bedeutet politische Partizipation, dass sich Menschen mit Behinderungen als „Fachleute in eigener Sache“ in Politik und Verwaltung einbringen. Insbesondere auf kommunaler Ebene könne so der unmittelbare Lebensraum mitgestaltet werden: „Politische Partizipation und Inklusion fängt vor Ort zu Hause an. Manchmal kann man auch mit kleinen Sachen etwas Großes bewirken – man muss nicht gleich die ganze Welt verändern wollen.“
So berichtet Wolfgang Bennewitz von der simplen, aber erfolgreichen Aktion, Busse durch kontrastreiche Klebestreifen an den Türen für sehbehinderte Menschen barrierefrei zu machen – und das mit kaum Geld und Aufwand.
„Es soll kein Draufhauen, sondern ein Miteinander sein.“
Partizipation heißt für ihn außerdem, voneinander zu lernen. So sei der mit der Verwaltung entwickelte Standard für barrierefreie Kinderspielplätze auch in Kommunen außerhalb von Nordrhein-Westfalen (NRW) sehr gefragt und wird stolz weitergegeben: „Gute Beispiele dür-fen gerne geklaut werden. Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden.“
Wolfgang Bennewitz berichtet, dass das Motto der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung „Nichts ohne uns über uns“ in seiner Kommune stattfinde. So müsse etwa jeder Antrag auf seine „In-klusionsverträglichkeit“ geprüft werden und es sei eine Selbstverständlichkeit, dass der Beirat in nahezu allen politischen Ausschüssen vertreten ist.
Der Erfolg lässt sich sehen: Seien es barrierefreie Bushaltestellen, Spielplätze, Webauftritte, Dokumente oder die legendäre barrierefreie Disco. Dabei werde deutlich, dass die gesamte Kommune von der Mitwirkung des Beirats profitiert: „Politik und Verwaltung sollen sehen: Wir wollen unterstützen. Es soll kein Draufhauen, sondern ein Miteinander sein.“ Dieses Miteinan-der musste sich der Behindertenbeirat Lünen – einer der ältesten in ganz NRW – jedoch erst jahrzehntelang hart erkämpfen.
Erhebliche Lücken in der politischen Partizipation
Für andere Beiräte sei es eine große Herausforderung, überhaupt Gehör bei den Kommunen zu finden, betont Wolfgang Bennewitz. Knapp die Hälfte aller Kommunen in NRW verfügen über keine Form politischer Interessenvertretung im Sinne von Art. 29 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Und dort, wo es Strukturen gibt, werden in den we-nigsten Fällen echte Partizipationsrechte gewährt. Woran liegt das?
Wolfgang Bennewitz sieht die fehlende rechtliche Verbindlichkeit als zentrale Barriere. Die Gründung und Stellung von Interessenvertretungen seien lediglich als Kann-Norm in § 27a Gemeindeordnung NRW enthalten. Neben dem mangelnden Bewusstsein seitens Politik und Verwaltung sei es außerdem schwierig, genügend Menschen zu finden, welche die notwendi-gen Ressourcen aufbringen können und wollen. Denn politisches Engagement kostet viel Zeit und Mühe.
„Nicht immer groß denken, sondern mit Kleinigkeiten anfangen“
Dennoch ermutigt Wolfgang Bennewitz andere Menschen mit Behinderungen und ihre Unter-stützer*innen, es zu ermöglichen, sich unabhängigen Interessenvertretungen anzuschließen oder diese zu gründen: „Man sollte nicht immer groß denken, sondern mit Kleinigkeiten anfan-gen. Aus der kleinen Gruppe kann eine große Gruppe werden.“
Dabei rät er, vor allem mit der Politik, den Entscheidungsträger*innen, das Gespräch zu su-chen: „Es ist manchmal schwierig, einen Anfang zu finden und auf sich aufmerksam zu ma-chen. Aber es verschließt sich eigentlich keiner – die wollen uns nichts Böses. Wer nichts damit zu tun hat, der kann sich in viele Sachen nicht reinversetzen. Deshalb ist es so wichtig, mit den Menschen zu sprechen.“
Sollte es dennoch ausweglos erscheinen, empfiehlt Wolfgang Bennewitz sich an Kontaktstel-len, wie etwa die Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben in Nordrhein-Westfalen (KSL.NRW) zu wenden, welche die notwendige Unterstützung und Begleitung anbieten.
„Es wird immer Nackenschläge geben, aber davon sollte man sich nicht entmutigen lassen“
Trotz aller Barrieren und Anstrengungen verdeutlicht Wolfgang Bennewitz, dass sich politi-sches Engagement lohne: „Ja, man muss manchmal ein dickes Fell haben, weil, man bekommt häufiger Nackenschläge, als dass etwas Positives dabei rauskommt. Aber es gibt immer positive Sachen – manchmal sind es kleinere Sachen, manchmal sind es größere. Und wenn dann der erste Anruf kommt ‚Wir haben da ein Problem‘ und man gefragt wird, ob man unterstützen kann – dann denke ich, das macht uehn negative Sachen wett. Dann weiß ich, ich habe etwas erreicht und die Betroffenheit und Bewusstseinsbildung 'rüber gebracht bei den Menschen. Es wird immer Nackenschläge geben, aber davon sollte man sich nicht entmutigen lassen.“
Verbindliche Interessenvertretung schaffen!
Damit nicht länger Einzelkämpfe in den Kommunen geführt werden müssen, brauche es in NRW eine verpflichtende Einrichtung von Interessenvertretungen mit echten Partizipationsrechten, betont Wolfgang Bennewitz. Diese langjährige und vielfache Forderung, eine Muss-Norm in der Gemeindeordnung zu verankern, habe sich der Verein „Politisch Selbstbestimmt Leben NRW e.V.“ zur Aufgabe gemacht. Der Verein wurde 2022 mit Unterstützung des KSL.Düsseldorf und des KSL.Arnsberg offiziell mit dem Zweck gegründet, „die volle und wirksame politische Teilhabe von allen Menschen mit Behinderung zu fördern“, erklärt Wolfgang Bennewitz als Vereinsvorsitzender.
Das Besondere am Verein: Alle Vorstandsmitglieder haben eine Behinderung und das gesamte Spektrum der „Expertise in eigener Sache“ sei vertreten. Die Zusammenarbeit erlebt Wolfgang Bennewitz als sehr bereichernd: „Jeder kann sich mit seinen Talenten einbringen, jeder kann profitieren und einen Mehrwert für sich erkennen.“ Manchmal sei es aber auch eine Her-ausforderung, etwa einfache Sprache zu verwenden, damit alle folgen können. Daher gehöre es zu den ersten Aufträgen des Vereins, die Satzung und Beitragsordnung in Leichte Sprache übersetzen zu lassen.
Der Verein PSL NRW erfahre bereits Unterstützung durch politische Vertreter*innen auf Lan-desebene und blicke seinem großen Ziel zuversichtlich entgegen. Weitere Mitstreiter*innen seien herzlich willkommen – egal, ob als Mensch mit oder ohne Behinderungen.
Mitmachen im Verein
Kontakt:
Wolfgang Bennewitz, Vereinsvorsitzender: wolfgang.bennewitz@gmx.de
Jörg Rodeike, Projektleiter KSL.Düsseldorf:
rodeike@ksl-duesseldorf.de
Vertiefende Informationen
Die Interview-Elemente in dem Porträt sind Teil des Praxisprojekts „Heil- und Inklusive Pädagogik interviewt Behinder-tenbewegung und Disability Studies“, die von Studierenden der Ev. Hochschule RWL in Kooperation mit dem Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) im Wintersemester 2022/23 durchgeführt wurde.
Text und Interview: Gina Schmitz 2023
Foto: Wolfgang Bennewitz
November 2023